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"Das kann man nicht erzählen"


zur Ausstellung "Die Mädchen von Zimmer 28" | November 2008

Auszüge der Lanzmann-Dokumentation „Shoah“ wurden in der Stadtbibliothek gezeigt – Kooperationsprojekt mit Carl-Benz-Gymnasium

„Das kann man nicht verstehen – ich kann das auch nicht verstehen.“ Dies sind die Worte von Simon Srebnik angesichts des Ortes, an dem sich einst das nationalsozialistische Vernichtungslager Chulmno befand, 80 Kilometer nordwestlich von Lodz. Ein Waldgebiet, augenscheinlich eine Oase des Friedens und der Ruhe. „Es war immer so ruhig. Niemand hat geschrien“, sagt Srebnik. An diesem Ort wurden zwischen 1941 und 1945 400.000 Juden ermordet, lediglich zwei der hierher Deportierten überlebten das Martyrium.

Einer davon war Simon Srebnik, an den sich die Bevölkerung als „den singenden Juden“ erinnert. Srebnik stand im Mittelpunkt des ersten Abends einer Veranstaltungsreihe der Stadtbibliothek, die Claude Lanzmanns Filmdokumentation „Shoah“ in Auszügen präsentiert; harte, schonungslose Kost, die laut Bibliotheksleiterin Antje Kietzmann „teilweise schwer zu verkraften“ ist. „Die Chance, Gefahren der Diskriminierung frühzeitig erkennen zu können und eine Sensibilität dafür zu schaffen“, nannte sie die Intention: „Es geht um Nachhaltigkeit. Es muss ein Umfeld des Erspürens geschaffen werden.“

„Claude Lanzmann will nicht die Deutschen anklagen, er verurteilt sie nicht – vielmehr will er, dass sie selbst damit zurechtkommen. Lanzmann geht es um die Opfer, nicht um die Täter“, erläuterte vorab Moderatorin Melanie Drese, die bereits mehrmals nach Israel gereist ist, um sich für diverse Projekte zu engagieren. Bis in die 70er Jahre habe man keinen Begriff gehabt, um die Katastrophe, den „Zivilisationsbruch“, in Worte zu fassen. Dass der Regisseur nicht „Holocaust“, sondern „Shoah“ (hebräisch für „Unheil“, „große Katastrophe“) als Filmtitel gewählt hat, erklärt Drese mit der Begriffsherkunft. So stamme „Holocaust“ aus der Bibel und sei auch mit „Brandopfer“ zu übersetzen, was aber nicht mit der Massenvernichtung gleichgesetzt werden solle.

Die beiden Schriesheimer Gymnasiastinnen Theresia Weinläder und Lisa Seithel, die den Geschichts-Kooperationskurs mit dem Carl-Benz-Gymnasium besuchen, hatten für die Besucher weitere Informationen vorbereitet – sowohl über den Film im Allgemeinen als auch über Simon Srebnik im Besonderen. Der 1930 in Lodz geborene polnische Jude wurde im Alter von 13 Jahren nach Chelmno deportiert. Er sah, wie sein Vater erschossen wurde, die Mutter wurde wie die meisten Opfer im Lkw vergast, er selbst überlebte 1945 den Todesschuss. 1961 sagte Srebnik im Eichmann-Prozess aus, 1977 kehrte der inzwischen in Tel Aviv Lebende für die Dokumentation nach Chelmno zurück. „Das kann man nicht erzählen“, sagt er in Bezug auf das Widerfahrene. So basiert der Film auch „ganz und gar auf der Abwesenheit von Spuren“, wie der Regisseur selbst erläutert. Besonders nachhaltig bleibt den Zuschauern die sogenannte Kirchenszene in Erinnerung.

Im Gotteshaus wurden einst die deportierten Juden zusammengetrieben, bevor sie in die Lkws steigen mussten. Die Szene zeigt Simon Srebnik im Jahr 1977, umringt von Bürgern, die sich eifrig an den mageren Jungen von damals erinnern. Was mit den Juden geschah, war durchaus bekannt – von Trauer und Entsetzen jedoch keine Spur. Das fehlende Unrechtsbewusstsein wurde auch in der anschließenden Gesprächsrunde in der Stadtbibliothek thematisiert, ebenso wie so mancher Geschichtsunterricht, der noch vor einigen Jahrzehnten die Zeit des Nationalsozialismus weitgehend ausklammerte.